2013•119 - T E X T: Der Heilige und sein Lehrer. Warum auch Konfuzius der Unterweisung bedurfte Wolfgang Kubin (Universität Bonn) Ich dich ehren? Wofür? Goethe: Prometheus Vor einiger Zeit beklagte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, daß Bewerber um Professuren in ihren Unterlagen nicht mehr diejenigen anführten, bei denen sie in die Schule gegangen seien. Und ich mache seit einigen Jahren die Erfahrung, daß Examenskandidaten in ihrem Lebenslauf keine Eltern mehr angeben. Dies trifft inzwischen auch auf Studierende aus China zu. In beiden Fällen gewinnen wir den Eindruck, als verdankte ein Akademiker bzw. ein Studiosus alles, aber auch wirklich alles sich selbst, ganz so wie dies Goethe in einer vergleichbaren Situation seinem Prometheus sinngemäß in den Mund gelegt hat: Hast du‘s nicht alles selbst vollendet Heilig glühend Herz? Ich deute diese und andere Verse des Gedichtes als Selbstüberhebung des sich seiner unverwechselbaren Person inne werdenden Menschen bzw. Künstlers.2 Wir können hier auch von Selbstvergottung, zumindest aber von Sakralisierung des Individuums reden. Daß der Mensch nichts aus eigener Macht vermag, diese Einsicht gehört zur christlichen Glaubensgewißheit. Haben wir nach dem Tod Gottes bzw. nach dem Gottesmord nun den Tod des Vaters bzw. den Vatermord zu beklagen? Mit Blick auf die Jugend würde ich sagen ja. Es ist kein Zufall, daß Rolf Trauzettel, Emeritus der Universität Bonn, je ällter er wird, desto mehr von „meinem Lehrer Herbert Franke“ spricht. Und es ist wohl auch kein Zufall, daß ich mit fortschreitenden Jahren immer mehr an einen Satz denke, den mein Doktorvater Alfred Hoffmann vor gut dreizig Jahren uns Studierenden an der Ruhr- Universität Bochum immer wieder einzubläuen versucht hat. Damals hat mir dieser Satz jedoch nichts bedeutet. Er lautete: „Es ist wichtig, einen guten Lehrer gehabt zu haben!“ Erst heute stelle ich mir die Frage, warum Alfred Hoffmann diese Aussage so wichtig war und was er damit hat zum Ausdruck bringen wollen. Ich bin in einer Zeit groß geworden, wo der Zweifel an den Vätern und auch Müttern zur Biographie eines jeden Menschen gehörte, der hoch hinauswollte. „We don‘t need no education, we don‘t need no thought control“, hieß es so griffig ein wenig später in einem populären 2Zu unterschiedlichen Deutung‘s. Karl Otto Conrady: Johann Wolfgang von Goethe. Prometheus, in: Benno von Wiese (Hg.): Die deutsche Lyrik. Vom Mittelalter bis zur Frühromantik. Düsseldorf: Bagel 1970, S. 214-226; Horst Thomé: Tätigkeit und Reflexion in Goethes Prometheus Umrisse einer Interpretation, in: Gedichte und Interpretationen. Bd. 2. Aufklärung und Sturm und Drang, hg. von Karl Richter. Stuttgart: Reclam 1983, S. 427-435.
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