2015•087 - T E X T:
Orchester wie beim Publikum ein richtiger
Renner. Es soll sogar nicht wenige
Leute geben, die es öfter als dreimal gesehen
haben.
Mit Brechts Kleinbürgerhochzeit, die wir
65 Jahre nach der Machtergreifung der
Nationalsozialisten spielten, ergab sich
zum ersten Mal eine direkte Verbindung
zur Vergangenheit der Schule und damit
zu dem Raum, in dem wir spielten.
Wie so oft erwies sich für uns der Zufall
wieder einmal als Ideengeber. Was aussah
wie eine Katastrophe, wendeten wir
zur Chance. Detlef Kühn hatte für einige
Probentage die Burg Gemen gebucht.
Erst später stellte sich heraus: Er hatte
mit der Jugendherberge Reckenfeld telefoniert.
Etwas anderes war nicht mehr
zu bekommen, ein Klavier und Probenräume
waren zugesagt und so fuhren wir
eben nach Reckenfeld. Es war, wie soll
ich sagen, - landschaftlich schön. Detlef
bestellte sofort einen Klavierstimmer aus
Münster. Der Speisesaal war der größte
Raum, so groß, dass aus dem Orchester
keiner von seinem Platz aufstehen konnte,
ohne dass eine Hälfte der Musiker von
ihren Plätzen aufstehen und den Raum
verlassen musste. Die Theatergruppe
bekam den kleineren Speisesaal und den
sollten wir dreimal täglich aus- und einräumen.
Ich war so sauer, dass ich rief:
Dann spielen wir eben die Kleinbürger
auf 10 qm! Und das war überhaupt die
Idee. Es wurden dann doch 12 qm. Damit
keiner von der Bühne fiel, bauten wir ein
Geländer herum, auf dem wir auch noch
spielten. Es wurde ein Boxring. Ein Narrenschiff.
Eine Kleinbürgerkneipe mit
Akkordeon. … Ich könnte viele solcher
Anekdoten erzählen.
Aber zurück zur Aula. Dem Historiker ist
natürlich klar, dass gerade die Kleinbürger
in der Weimarer Republik nach der
Inflation 1923 ihrer wirtschaftlichen und
bürgerlichen Heimat entwurzelt wurden.
Und seit der Ausstellung Rheine im Nationalsozialismus
(1984) war es natürlich
kein Geheimnis mehr, dass die Nationalsozialisten
mit der sogenannten Unabhängigen
Liste am 30. März 1933, zwei
Monate nach der Machtergreifung, hier
in dieser Aula die Macht in Rheine übernahmen.
Das Schulorchester hatte 1933
dazu aufgespielt. Darauf mussten wir reagieren.
Wir ließen in einer eingebauten
Szene von Heiner Müller, - ebenfalls mit
dem Titel Kleinbürgerhochzeit – Adolf
Hitler aus dem Bilderrahmen heruntersteigen
– die Szene finden Sie auf der
Einladungskarte der Stadt Rheine - und
Adolf Hitler befahl dem Familienvater,
Frau und Tochter und anschließend sich
selbst zu erschießen. Schließlich war das
die Konsequenz des Rassekrieges, in dem
die Herrenrasse mit der Niederlage das
Daseinsrecht verwirkt hatte. - Wir alle
damals haben dies als eine Art Reinigung
der Aula empfunden.
Das Theaterspiel ist eine flüchtige Kunst.
Wir bauen permanent Bilder, die wir
wieder auflösen, um wieder neue Bilder
zubauen. Ein dauernder sich fortentwickelnder
Prozess. Und nachher bleibt
nichts von allem. Dass das Theater die
Welt zum Besseren verändern könnte,
hat sich für viele wohl als eine Illusion erwiesen.
Das Theater verändert nicht die
Zuschauer, sondern höchstens die, die es
machen. Und trotzdem!! Was können wir
anderes tun, als Bilder zu bauen, die den
Menschen in Erinnerung bleiben. Hieran
hat PUSTEKUCHEN immer gearbeitet
und die Kunstgeschichte befragt.
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