2019•051 - T E X T:
und müssen nur herausgearbeitet werden.
Jede Handlung ist ein Teil auf dem
Weg zum Ganzen und kann zu jeder Zeit
von jedem, der handelt, fortgeführt werden.
Der Ort
Als Ergebnis aus einem Architekturwettbewerb
wurde von 1908 – 1909 das
ursprüngliche Schulgebäude von Josef
Franke, Architekt aus Gelsenkirchen, auf
dem Grundstück an der Gaststätte Beesten
errichtet. Bis dahin befand sich das
Gymnasium, das auf eine 360-jährige Geschichte
zurückblicken kann, in den Mauern
des ehemaligen Franziskanerklosters
in der Innenstadt von Rheine. Das neue
Gebäude vermittelt mit seinem Sockel Erdenschwere
und Verbundenheit und entwickelt
mittels des sandsteinfarbenden
Putzes und der nach oben sich öffnenden
Sprossenteilung der Fenster eine gewisse
Luftigkeit. Die geschwungenen Konturen
der Giebel aus Anröchter Sandstein korrespondieren
mit der umgebenen Flora,
ein Dialog der Architektur mit der umgebenen
Natur. Die Struktur und Tektonik
des gesamten Hauses reflektiert und dokumentiert
die europäische Baugeschichte
bis in die Gegenwart. Die Architektur
formuliert die damalige Erwartung an den
Bildungsstand der Schüler und belohnt
sie bei erfolgreichem Abschluss mit dem
Verlassen der Schule durch das Hauptportal,
das ansonsten nur dem Schulleiter
vorbehalten war. Dass das Verlassen des
Gebäudes durch das Portal die Pracht des
Ornaments dem Durchschreitenden vorenthält,
schmälert das Privileg. Das Treppenhaus
und die Flure zelebrieren das
Tun und ihre Bestimmung und schaffen
über geschossweise Differenzierung der
Tektonik und Gestaltung der Oberflächen
Orientierung im Gebäude. Das Ornament
ist ideologisch, aus Materialien, die im taktilen
Bereich ihr Versprechen von Beständigkeit
eingelöst haben und im gesamten
das Alter des Hauses abbilden, nicht als
Mangel, sondern mit einer Spur von Reife
und Schönheit im Vergänglichen.
In der Mitte des letzten Jahrhunderts wurde
die alte Gymnastikhalle als Bindeglied
zur Petri-Kirche aufgegeben. Das niedrige
Bauteil bereitete die mögliche Behauptung
der Gymnasialkirche im Nebeneinander
zum großen Volumen der Schule vor
und balancierte das Spannungsverhältnis
der Gebäude zueinander. Der Neubau des
Fachklassentraktes an der Stelle passt
sich in Form und Material dem Bestand
an, durch die Ablesbarkeit der Geschosse
fehlt ihm aber die abstrakte Formulierung
des Körpers im Gegensatz zum Vorgängergebäude.
Insgesamt entsteht eine Unentschlossenheit
in der Größe, das Bauteil
wirkt geduckt, es macht sich klein. Eine
weitere Erweiterung des Schulkomplexes
nimmt das südliche Grundstück ein und
vermeidet jeglichen Bezug.
Ende der 90-ziger Jahre erhielt Prof. Josef
Paul Kleihues die Aufgabe, das Gebäude zu
erweitern, um den zeitgenössischen Anforderungen
einer Schule gerecht zu werden.
Josef Paul Kleihues hat sich seiner
Zeit als Schüler des Gymnasiums erinnert
und den roten Faden aus Interpretation
und Bewertung des Bauwerks Josef Franke
aufgenommen. Er beklagt in Rückblenden
die hohen Fensterbrüstungen in den
Klassen, die den Fokus zur Tafel lenkten,
aber auch das Unwohlsein eines gefangenen
Raumes erzeugten. Er liebte die großzügigen
Flure als Orte der Begegnung und
die Aula mit dem großen Flügel, wo der
Musiklehrer Wagneropern intoniert.
|
|